Von Martin Weiss, Leiter DAT-Fahrzeugbewertung und Marktbeobachtung
2022 wird ein Übergangsjahr werden. Ein Übergang wieder zu mehr Normalität in vielen Bereichen.
Die Chipkrise und die damit verbundenen Lieferengpässe werden uns 2022 beschäftigen. Dadurch werden weniger Fahrzeuge gebaut und neu zugelassen, als der Markt benötigt. Zudem ist ein Ende der langen Lieferzeiten kaum abzusehen.
Die neu zugelassenen Fahrzeuge werden mit zeitlicher Verzögerung auch wieder auf dem Gebrauchtwagenmarkt fehlen. Da auch im aktuellen Jahr 2021 weniger Neuzulassungen getätigt wurden, wird die Knappheit an jungen Gebrauchtwagen auch 2022 für viele Autokäufer und vor allem für den Automobilhandel ein brennendes Thema bleiben.
Wenn die Hersteller neue Fahrzeuge bauen, werden sie sehr genau überlegen, in welche Kanäle diese Fahrzeuge „abfließen“: Wie viele werden auf Mitarbeiter der Hersteller zugelassen? Wie viele kommen in Firmenflotten? Wie viele Vorführwagen bekommt der Handel? Welche Stückzahlen gehen zu Autovermietern? Es werden schon jetzt deutlich weniger taktische Zulassungen etwa bei Autovermietern getätigt. Hier war das Nachlassniveau auch immer besonders hoch. Warum also diese Kanäle bedienen, wenn es in anderen aktuell viel profitabler geht. Das wird auch 2022 so weitergehen. Zu viele solcher taktischen Zulassungen haben in der Vergangenheit stets für Preisdruck im Markt gesorgt (zu viele junge, ähnlich ausgestattete Fahrzeuge kommen nach wenigen Monaten in der Vermietung wieder in den Markt und müssen mit hohen Abschlägen verkauft werden). Nun wird dieser Bereich eher zu wenige als zu viele neue Fahrzeuge bekommen. Dies wird für weiter steigende Gebrauchtwagenpreise sorgen, da die Nachfrage nach Gebrauchtwagen weiter hoch bleibt.
Fahrzeuge werden „unfertig“ ausgeliefert. Das bedeutet, Pkw mit bislang umfangreichen Serien- oder Sonderausstattungen werden ohne diese Merkmale gebaut und verkauft. Das wiederum führt dazu, dass man zukünftig bei der Identifizierung solcher fehlenden Merkmale besonders präzise prüfen muss, was im Auto verbaut ist und was nicht. Händler werden demnach häufiger als bislang zur VIN-Abfrage (Abfrage der 17-stelligen Fahrgestellnummer zur Feststellung des eindeutigen Zustands, wie das Fahrzeug gebaut wurde) greifen müssen.
Der Bedarf an individueller Mobilität bleibt hoch: Corona sorgt für ein Infektionsrisiko, das heißt: Nicht nur im Alltag, sondern auch bei Urlaubsplänen und Fernreisen spielt immer häufiger das eigene Automobil eine wichtige Rolle. Geringere Strecken durch mögliche Homeoffice-Regelungen sind zwar in manchen Berufsgruppen spürbar, werden durch die Urlaubs- und Alltagsfahrten aber nahezu kompensiert. Insgesamt ist die Fahrleistung aber auch 2021 leicht gesunken gegenüber 2020.
Die Listenpreise der Hersteller werden weiter steigen. Neuwagen werden immer teurer, gleichzeitig gibt es weniger Nachlässe im Handel. Der Abstand zum Gebrauchtwagen vergrößert sich, der Gebrauchtwagen wird etwas nachziehen. Der Kampf um die besten Gebrauchtwagen wird weitergehen, zumal auch Gebrauchtwagen auf dem Markt sind, die besser ausgestattet sind als Neufahrzeuge (Sound- oder Assistenzsysteme etc.).
Damit einher wird eine Anpassung der Volumenziele sein, die die Hersteller mit den Händlern vereinbart haben (gilt auch für Abnahmevereinbarungen bei Gebrauchtwagen, die im Rahmen eines GW-Programms vom Hersteller an den Handel fließen).
Das Preisniveau insgesamt wird weiter hoch bleiben, falls nicht politische Entscheidungen die Rahmenbedingungen ändern (z. B. wenn die Kraftstoffpreise sehr stark steigen oder wenn Fahrer von Verbrennern schmerzhafte Nachteile erfahren etwa bei der Einfahrt in Innenstädte etc.), aber Entscheidungen wirken sich nicht auf alle Pkw-Halter und Personengruppen gleichzeitig aus. Das ist im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eher unwahrscheinlich.
Mobilitätswandel: Mehr Menschen entscheiden sich für elektrifizierte Pkw, sie sind neugierig, ob diese Antriebsart für die eigenen Mobilitätsbedürfnisse passt. Zudem sind sie weiterhin preislich attraktiv wegen der Prämien. Zeitgleich bleiben PHEV für Dienstwagenberechtigte interessant, d. h. diese werden weiterhin in relevanten Stückzahlen zugelassen. Allerdings ist die Stimmung gegenüber PHEV eher negativ konnotiert, daher ist auch fraglich, ob und wann die Förderung / Versteuerung massiv zurückgefahren wird. Die neue Regierung hat die Kursrichtung schon angezeigt. Damit werden sie nicht mehr pauschal attraktiv. Insbesondere dann, wenn es um die konkrete Ermittlung der Realverbräuche und elektrischen Fahranteile bei Plug-In-Hybriden geht. Abzuwarten bleibt, wie sich die Umsetzung gestaltet.
Ab 2022 werden mehr gebrauchte E-Autos zurück in den Gebrauchtwagenmarkt kommen. Viele Neuwagen wurden nach dem Anstieg der Prämie in 2020 mit einem Leasing ab 24 Monaten in den Markt gekommen, diese Pkw müssen jetzt vermarktet werden. Die Vermarktung dieser E-Gebrauchtwagen bleibt für den Handel eine Herausforderung – auch 2022. Die Werte gebrauchter E-Autos (BEV) sind zwar leicht gestiegen, sie bleiben aber derzeit weiter deutlich unter den Verbrennern. Das wird sich auch 2022 kaum ändern. Schwierig bleibt auch die Vermarktung von gebrauchten PHEV. Diese bieten zwar einen Einstieg in die elektrifizierten Antriebe, aber die Gebrauchtwagenkäufer verfügen in der Regel nicht über eigene Lademöglichkeiten zuhause. Die Realverbräuche von PHEV sprechen zudem eher gegen einen PHEV – insbesondere im Vergleich zu einem Diesel-Pkw.
Und wie wird sich der Markt in Stückzahlen entwickeln? Das ist schwierig abzusehen. Wenn die Situation weiterhin so bleibt, werden wir 2022 nicht über 2,6 Mio. Neuzulassungen kommen. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt wird weiter reger Betrieb herrschen. Der Bedarf an Mobilität bleibt weiter sehr hoch, und der Handel wird versuchen, aktiv Fahrzeuge zuzukaufen – auch im Ausland. Grenzüberschreitender Handel wird wichtiger, um an attraktive Ware zu gelangen. Insgesamt rechnen wir mit etwa um die 6,8 Mio. Besitzumschreibungen, aber es bleibt sehr schwierig, darüber schon heute eine Aussage zu treffen.